„Göttliches Feuer auch treibet, bei Tag und bei Nacht, / Aufzubrechen. So komm! Das wir das Offene schauen.“[1] Mit diesem Zitat aus Hölderlins »Brot und Wein« beginnt Rüdiger Safranski seine Annäherung an Hölderlin, dessen 250. Geburtstag wir am 20. März feiern können.
„Was also ist das für ein Feuer, das in Leben und Poesie Hölderlins brennt?“ Dieser Frage geht Safranski in seinem lesenswerten und sehr informativen Buch nach. Wie bei seinen Freunden aus dem Tübinger Stift, bei Friedrich Wilhelm Hegel und Friedrich Schelling, ist es das Feuer der Französischen Revolution, der Geist der Freiheit, der ihn, Hölderlin, beflügelt.
Von der Mutter zum Theologiestudium mit dem Berufsziel Pfarrer ausersehen, wendet dieser sich der Philosophie zu und wird zum Dichter. Doch die unzureichenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse sowie die nicht ausreichende Unterstützung und Förderung Schillers, Goethes und anderer wie Fichte, wollen das großartig Neue des jungen Dichters nicht anerkennen. Sein hilfesuchender letzter Brief an Schiller wird nicht beantwortet. Interessant in diesem Kontext sind die Ausführungen Hans Mayers zu Schillers Elegie »Der Spaziergang« mit Hölderlins »Archipelagus« als Gegengedicht. Der „höfisch-bürgerliche Gesellschaftskompromiß“ der Generation Goethe und Schiller ist für die Generation von 1770 nicht mehr akzeptabel. Nach Mayers Sichtweise wird Hölderlins Dichtung zur „Gegenschöpfung“.
1801 nimmt Hölderlin eine Stelle in Bordeaux an. Schreibt, bevor er sich auf den Weg dorthin macht, an seinen gleichgesinnten Freund Casimir Ulrich Boehlendorff, der genau so wenig wie Hölderlin Zustimmung fand in seinem Vaterland: „Aber sie können mich nicht brauchen.“ Beide waren Dichter in „dürftiger Zeit“. Unter dieser Chiffre aus dem Gedicht »Brot und Wein« stellt Hans Mayer seinen Exkurs über Hölderlin in dem Buch »Das unglückliche Bewußtsein«. Er präzisiert: „Dürftige Zeit? Wohl eher ein Leben und Schaffen zwischen Hoffnung und Verzweiflung, Utopien und verlorenen Illusionen.“ [2] Es ist, so Mayer „ein revolutionäres Zeitalter, worin die Deutschen nicht als Subjekt auftreten, sondern zum Objekt werden.“[3] Hölderlin und seine Tübinger Freunde Schelling und insbesondere Hegel ebenso aber auch Beethoven verfolgen „teilnehmend und sehnsüchtig“ den Gang und die Auswirkungen der Französischen Revolution sowie die folgenden Kriege unter Napoleon.
Zurück aus Frankreich schreibt Hölderlin im November 1802 an den Freund Böhlendorff: „Mein Lieber! ich denke, daß wir die Dichter bis auf unsere Zeit nicht commentiren werden, sondern daß die Sangart überhaupt wird einen andern Karakter nehmen, und daß wir darum nicht aufkommen, weil wir, seit den Griechen, wieder anfangen, vaterländisch und natürlich, eigentlich originell zu singen.
Schreibe doch nur mir bald. Ich brauche Deine reinen Töne. Die Psyche unter Freunden, das Entstehen des Gedankens im Gespräch und Brief ist Künstlern nöthig. Sonst haben wir keinen für uns selbst; sondern er gehöret dem heiligen Bilde, das wir bilden.“[4]
Die Überlegung vom Dichter in „dürftiger Zeit“ – damals und heute führt Mayers Überlegungen zu Paul Celan und seinem Gedicht »Tübingen, Jänner«. Es geht Mayer bei der Interpretation des Gedichtes um einen Vergleich der dichterischen Möglichkeiten damals und jetzt. In einem Essay für Walter Jens hat Mayer das »Sprechen und Verstummen der Dichter«[5] u.a. am Beispiel »Tübingen, Jänner« interpretiert. Eine erhellende Lektüre sowohl in Bezug auf Hölderlin als auch Celan. Was unverständlich erscheint wird durch Mayers Interpretation klar. Bis hin zum Schlusswort des Gedichtes »Pallaksch«. In dem Hölderlin-Exkurs stellt Mayer abschließend fest: „Celans Gedicht handelt vom Dichter und der Dichtung in dieser Zeit. Es bezeichnet die Fallhöhe von Hölderlin zu Celan, die nicht als Dimensionsunterschied der Talente verstanden werden sollte, sondern als eine der Möglichkeiten, Gesehenes, Erinnertes, Verstandenes zur Sprache zu bringen. Ein Gedicht von er Dichtung, von der Sprache und dem progressiven Verstummen.“[6]
Für Hölderlin begann Ende 1802 der Weg in die „zweite Hälfte des Lebens“. Mit Unterstützung seines Freundes Sinclair wird er Hofbibliothekar in Homburg. Für den Landesvater, den Landgrafen von Hessen-Homburg, schreibt er die Hymne »Patmos«. Bekannt sind die Anfangszeilen: „Nah ist / Und schwer zu fassen der Gott. / Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch.“[7] Nicht allerdings für Hölderlin. Sein Freund und Unterstützer Sinclair wird wegen Hochverrat verhaftet. Statt in Kerkerhaft zu landen, wird Hölderlin in geistiger Verwirrung und mit einem entsprechend „fürsorglichem“, durch den Landgrafen veranlassten Gutachten, am 11. September 1806 gewaltsam in die Authenrit´sche Klinik nach Tübingen verfrachtet. Dort bleibt er bis zum 5. Mai 1807, 231 Tage. Dann beginnt die Turm-Zeit Scardanellis[8].
Peter Weiss hat in seinem Theaterstück »Hölderlin«[9] wieder aufgenommen, dass der Dichter am jakobinischen Traum seiner Jugend, dem „göttlichen Feuer“, festgehalten hat. Mayer stellt das Stück quasi als eine Synthese in der Nachfolge der beiden vorhergehenden Stücke »Marat« und »Trotzki« dar. Wie kann verändernde Praxis aussehen? Zwei Wege zur Vorbereitung einer grundlegenden Veränderung sind gangbar. Im Dialog zwischen Marx und Hölderlin werden sie dargestellt. Der eine Weg ist die Analyse der konkreten historischen Situation. Der andere die visionäre Formung tiefer persönlicher Erfahrung. Im Gegensatz zu Goethe, Schiller, Hegel und Schelling „als Vertretern der Alltagsvernunft“ steht Hölderlin für die utopische Permanenz der Revolution. „Die Revolution ist Hölderlins Wahn, aber damit ist sie gleichzeitig seine Vernunft.“[10] Für Hans Mayer stehen beide Wege nicht gegeneinander. Mit Thomas Mann ist er, entsprechend der Hölderlin-Interpretation von Pierre Bertaux[11] einig, dass beide Sichtweisen und Wege notwendig sind.
Heinrich Bleicher
[1] Rüdiger Safranski, Hölderlin – Komm! ins Offene, Freund, München 2019. Siehe: https://www.perlentaucher.de/buch/ruediger-safranski/hoelderlin.html
[2] Hans Mayer, Das unglückliche Bewußtsein – Zur Literaturgeschichte von Lessing bis Heine, Frankfurt am Main 1986, S. 341
[3] A.a.O., S.343
[4] Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zeitlicher Folge, herausgegeben von D. E. Sattler, Band 10, S.20
[5] In: Hans Mayer, Das Geschehen und das Schweigen – Aspekte der Literatur, Frankfurt am Main 1969, S. 11-34
[6] Hans Mayer, Das unglückliche Bewußtsein, S. 354
[7] Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zeitlicher Folge, Band 10, S.15ff
[8] Das „Pseudonym“ Hölderlins, mit dem er die meisten Turmgedichte gezeichnet hat.
[9] Peter Weiss, Hölderlin – Stück in zwei Akten, Frankfurt am Main 1971
[10] Hans Mayer, Die zweifache Praxis der Veränderung, in: Der andere Hölderlin- Materialien zum >Hölderlin<-Stück von Peter Weiss, herausgegeben von Thomas Beckermann und Volker Canaris, Frankfurt am Main 1972, S. 205-216
[11] Siehe: Pierre Bertaux, Hölderlin und die Französische Revolution, in: Der andere Hölderlin- Materialien zum >Hölderlin<-Stück von Peter Weiss, herausgegeben von Thomas Beckermann und Volker Canaris, Frankfurt am Main 1972, S. 65-100