„Die Verfolgten des Naziregimes … stehen jetzt eng zusammen, weit über die politischen Parteien, die gesellschaftlichen Klassen und die religiösen Bekenntnisse hinweg. Sie bildeten gestern eine Gemeinschaft der Opfer der Verfolgten. Heute bilden sie eine Gemeinschaft der Warner und der politischen Kämpfer“, erklärte Hans Mayer, 1. Landesvorsitzender und Gründungsmitglied der VVN Hessen, am
13. März 1947 in der Frankfurter Rundschau. Zwei Tage später eröffnete er die
1. Interzonale Länderkonferenz der VVN in Frankfurt am Main. Dort schlossen sich die in allen Zonen Deutschlands existierenden Verbände zum gesamtdeutschen Rat der VVN zusammen. Politische Probleme eines nachfaschistischen Deutschlands waren die Hauptthemen.
Die damals in Anlehnung an den Schwur von Buchenwald formulierten Ziele sind nach mehr als 70 Jahren immer noch auf der Tagesordnung. Gerade die jüngsten politischen Entwicklungen, eher unzureichend benannt mit den Ereignissen in Chemnitz, Wolfhagen bei Kassel und Halle, zeigen die Notwendigkeit der damals formulierten antifaschistischen Aktivitäten:
- für Lernen aus der Vergangenheit;
- für die Vision einer antifaschistischen Zukunft;
- für eine Welt ohne Rassismus, Antisemitismus, Nazismus und Militarismus, ohne Ausgrenzung, ohne Faschismus und Krieg.
Umso unglaublicher erscheint die Entscheidung des Berliner Finanzamts der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) die Gemeinnützigkeit zu entziehen[1]. Die Begründung, fußend auf einer unbewiesenen Feststellung im Verfassungsschutzbericht von Bayern mit der Vermutung der dortigen VVN-BDA als extremistischer Organisation, ist mit der Umdrehung der Beweislast aberwitzig.
In einem offenen Brief an den Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat die VVN-BdA-Ehrenvorsitzende Esther Bejarano den Finger in die Wunde gelegt. »Wohin steuert die Bundesrepublik? Das Haus brennt – und Sie sperren die Feuerwehr aus!, wollen der größten und ältesten antifaschistischen Vereinigung im Land die Arbeit unmöglich machen? Diese Abwertung unserer Arbeit ist eine schwere Kränkung für uns alle. „Die Bundesrepublik ist ein anderes, besseres Deutschland geworden“, hatten mir Freunde versichert, bevor ich vor fast 60 Jahren mit meiner Familie aus Israel nach Deutschland zurückgekehrt bin. Alten und neuen Nazis bin ich hier trotzdem begegnet … Entscheidet hierzulande tatsächlich eine Steuerbehörde über die Existenzmöglichkeit einer Vereinigung von Überlebenden der Naziverbrechen?“«[2]
Wie wichtig für die VVN die Kulturfrage im befreiten Deutschland war, zeigte sich auch daran, dass Hans Mayer als hessischer Landesvorsitzender an dem 1. Deutschen Schriftstellerkongress im Oktober 1947 in Berlin teilnahm.
Hans Mayer, eröffnete als promovierter Jurist und Landesvorsitzender der VVN Hessen 1948 die Internationale Juristen-Konferenz des Rates der VVN. Er stellte fest: „Das Problem des Verhältnisses von Recht und Moral, die Auffassung von Problemen der Demokratie, auch die Auffassung von völkerrechtlichen Strukturen Europas…sind heute weitgehend auch politische Themen.“ Macht man sich dies auch bei den der heutigen Problematik zugrunde liegenden Verhaltensweisen der regierenden Parteien deutlich, wird klar: Hinter dem Vorgehen des Bundesfinanzgerichtshofes das allgemeinpolitische Mandat zur Aberkennung der gemeinnützigen Körperschaften wie bei attac geltend zu machen, steckt eine Strategie der politischen Klasse die demokratischen Kräfte der Zivilgesellschaft und ihre Wirkungsmöglichkeiten auszuhebeln.
Noch einmal Hans Mayer: „Unsere Aufgabe ist es, über alle Parteien, Bekenntnisse und Abstammungen hinweg eine Vereinigung der Menschen zu schaffen, die warnen, die aufpassen, die den Zeigefinger heben, und die schreien, und die notfalls mit allen Mitteln der Kraft der Zahl und der Überzeugung, die sie verkörpern, der Welt zeigen, wie notwendig es ist, gegen den Nazismus zu kämpfen.“[3] In Anerkennung seines lebenslangen Kampfes für Demokratie und Humanität wurde dem langjährigen, immer wieder gegen Faschismus und Neofaschismus warnenden Hans Mayer zwei Jahre vor seinem Tod im Mai 1999 die Ehrenmitgliedschaft der VVN-BdA verliehen.
[1] Siehe u.a. https://taz.de/VVN-BdA-erlebt-Mitgliederboom/!5641537/
[2] https://vvn-bda.de/offener-brief-von-esther-bejarano-an-olaf-scholz-das-haus-brennt-und-sie-sperren-die-feuerwehr-aus/
[3] „Der historische Anspruch des deutschen Widerstandes, in: Ulrich Schneider Zukunftsentwurf Antifaschismus, Bonn 1997