Zu seinem heutigen 85. Geburtstag hat die Hans-Mayer-Gesellschaft (HMG) ihrem Mitglied Professor Leo Kreutzer die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Zunächst als Assistent und dann als würdiger Nachfolger Hans Mayers hat Professor Leo Kreutzer dessen Denkweise und Herangehen an Literatur aufgenommen und weiterentwickelt. Das >Doppeltblicken< und das Prinzip >Ähnlichkeit< beim dialektische Hoffnungsdenken hat er sich zu eigen gemacht und für seine Arbeit in Hannover und an afrikanischen Universitäten für eine interkulturelle Literaturwissenschaft fortgeführt. „Die Folgen dieser Tätigkeit sind groß“, resümierte Hans Mayer zu Professor Leo Kreutzers 60. Geburtstag.
Nach einem Studium der Germanistik, Romanistik und Philosophie in Tübingen, Nancy und Köln promovierte Kreutzer 1964 an der Universität Tübingen über Hermann Brochs Romantrilogie »Die Schlafwandler«. Die Bekanntschaft und dann Zusammenarbeit mit Hans Mayer nach dessen Ankunft in Tübingen führte dann insbesondere in seiner Assistentenzeit in Hannover von 1965-1969 dazu, eine germanistische Literaturwissenschaft zu praktizieren, die ihn „von den Unarten des Fachs“ fernhielt. In seinem 2022 erschienenen Buch zu Hans Mayer unter dem Titel »Ein Hannoveraner auf Widerruf« formuliert er das so: „Dass ich Hans Mayer über Jahre regelmäßig zuhören konnte, wie er bei der Arbeit im Hörsaal stets, dabei aber niemals im Sinne einer >werkimmanenten Interpretation<, den literarischen Text in den Mittelpunkt stellte, hat mich davor bewahrt, meine eigenen Bemühungen an den Erwartungen einer germanistischen >Fachwelt< auszurichten.“[1]
Nach seiner Habilitation bei Hans Mayer über das Thema »Alfred Döblin – Sein Werk bis 1933«[2] ging Kreutzer als Literaturredakteur zum Westdeutschen Rundfunk in Köln. Am 1. Januar 1974 wurde er dann Nachfolger von Hans Mayer auf dem Lehrstuhl für “Neuere und Neueste deutsche Literatur” an der Universität Hannover. Wie Lese- und Lebenserfahrung sich gegenseitig erhellen können hatte Kreutzer auch bei Mayer gelernt und eine Arbeitsweise des „intertextuellen und >intermedialen Doppeltblicken< als dialektische Art des Wahrnehmens übernommen. „Dialektisch ist diese Art des Wahrnehmens, weil sie, wie ein dialektisches Denken einen Sachverhalt durch These und Antithese erfasst, eine Erscheinung als zu einer anderen >im Widerspruch stehend< wahrnimmt. Durch die Dialektik eines >doppelt blickenden< Wahrnehmens hat Hans Mayer seinen Blick auf die Gegenstände seine Analyse geschärft.“[3]
Von Hans Mayer war seinem Nachfolger bei der Übergabe des Lehrstuhls ein afrikanischer Habilitand ans Herz gelegt worden. Daraus ergab sich bald eine weitere Betreuung von afrikanischen Doktoranden und Habilitanden. Kultur- und wissenschaftspolitisch stand Kreutzer damit vor einer enormen Herausforderung für seine Lehre und Forschung in methodischer Sicht. Er entwickelte eine Strategie des >interkulturellen Doppeltblickens< für die Literaturwissenschaft.
In den 1990er Jahren entstand aus dieser Literaturbetrachtung für ungleichzeitige gesellschaftliche Entwicklungsprobleme und Modernisierungskonflikte die »Ecole d´Hannovre«. Diese Entwicklung entstand in Verbindung mit zahlreichen Gastprofessuren an Deutschabteilungen im subsaharischen Afrika. Gewürdigt wurde diese Arbeit mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Cheikh Anta Diop Dakar im November 2006. Der Festvortrag anlässlich der Verleihung kann hier nachgelesen werden.[4]
Zum 70. Geburtstag Hans Mayers hat Professor Kreutzer dann mit Kolleginnen und Kollegen des WDR einen Film über den Genussmenschen Hans Mayer gedreht. Ein Essen mit Walter Höllerer, Ivan Nagel, Fritz Raddatz und Martin Walser bei Günter Grass in Wewelsfleth. Die Erstsendung des Films erfolgte am 6. April 1977 im WDR. Der Titel: »Jeden Abend ein Anruf von Hegel. Eine Unterhaltung mit Hans Mayer anlässlich seines 70. Geburtstags.«
Wir wünschen, dass der Genussmensch Leo Kreutzer noch lange seinen Vorlieben folgen kann. Ad multos annos.
[1] Leo Kreutzer, Ein Hannoveraner auf Widerruf – Mit Hans Mayer an der Technischen Universität Hannover, Hannover 2022, S. 7.
[2] Leo Kreutzer. Alfred Döblin – Sein Werk bis 1933, Stuttgart 1970.
[3] Leo Kreutzer, Ein Hannoveraner auf Widerruf, S.10.
[4] Die deutschsprachige Fassung des Vortrags findet sich in: Leo Kreutzer. Goethe in Afrika. Hannover (Wehrhahn Verlag) 2009. S. 102-131.