Zum 150. Geburtstag von Heinrich Mann
„Seinen höchsten Augenblick hat er wohl am 21. Juni 1935 erlebt und natürlich in Paris. Damals hatte Heinrich Mann sein 64. Lebensjahr vollendet; …einem sicheren Tod durch die neuen deutschen Machthaber hatte er sich lebensklug immer wieder in entscheidenden Augenblicken, rechtzeitig entziehen können.“ Mit diesen Worten beginnt Hans Mayer seinen Vortrag »Die Größe Heinrich Manns« am 24. April 1988 in der Akademie der Künste in Berlin.[1]
Als Heinrich Mann am 21. Juni 1935 beim internationalen Schriftsteller-Kongress auf der Tribüne des großen Saals der Mutualité in Paris erschien, „erheben sich die 5000 oder 6000 Anwesenden, ohne daß jemand ein Zeichen gegeben hätte. Sie erhoben sich schweigend zu Ehren des großen deutschen Exilierten Heinrich Mann. In ihm ehrten sie das Deutschland, das der Welt unverlierbare Werte der Kultur und Gesittung überantwortet hat.“[2] Ludwig Marcuse, so stellt Hans-Albert Walter fest, beschreibt Mann 1935 bereits als „das (noch ungekrönte) Haupt nach dem Zusammenbruch des Milleniums“.[3] Heinrich Mann war seit dem Oktober 1933 Ehrenpräsident des (wiederbegründeten) „Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller im Exil“ (SDS) und Ehrenmitglied des britischen PEN-Clubs. Er vertrat die Angelegenheit der Exilierten vor dem Völkerbund und war Vorsitzender des Ausschusses zur Schaffung einer deutschen Volksfront. In seiner Rede vor dem Schriftstellerkongress stellte Mann fest: „Widerstand ist geboten. Man muß sich wappnen, nicht mit Geduld, sondern mit gefestigten Überzeugungen. … Zu verteidigen haben wir eine ruhmreiche Vergangenheit und was sie uns vererbt hat, die Freiheit zu denken und nach Erkenntnissen zu handeln.“[4] Mann formuliert hier erneut sein Leitmotiv, die „Einheit von Geist und Tat“. In seinem Erinnerungsband „Ein Zeitalter wird besichtigt“ fixiert Mann mit dem 1910 geschriebenen Essay „Geist und Tat“ den Beginn seiner Tätigkeit, die nicht nur auf Erkennen und Wiedergabe sondern auch auf Verändern gerichtet ist.[5] Dort schaut er auf Frankreich das (seit der Revolution) bereit ist, für den Geist zu streiten als die „Ratio militians selbst“. In Deutschland aber „Kein großes Volk: nur große Männer.“[6] Das Volk allerdings diskreditiert Mann nicht. Die „abtrünnigen Literaten …haben das Leben des Volkes nur als Symbol genommen für die eigenen hohen Erlebnisse.“ Mann fordert, dass sie „sich dem Volk verbünden gegen die Macht, daß sie die ganze Kraft des Wortes seinem Kampf schenken, der auch der Kampf des Geistes ist.“[7]
In einem Vortrag an der Tübinger Universität zu den Brüdern Mann geht Hans Mayer auf das Leitmotiv Heinrich Manns ein, dass dieser, den Essay von 1910 fortschreibend, in seinem großen Beitrag zu Emile Zola 1915 formuliert hat. Es ist „die Vision einer demokratischen (und nicht mehr kapitalistischen) Gesellschaft. Die Verbindung von imperialistischem Krieg und imperialistischer Wirtschaft und wird klar denunziert.“[8]
Schon am Beginn des Krieges, dessen Ende vorausschauend, formuliert Heinrich Mann mit Blick auf das Ende der zweiten Französischen Republik aber dabei auch das Ende des deutschen Kaiserreichs meinend: „Demokratie aber ist hier ein Geschenk der Niederlage. Das Mehr an allgemeinem Glück, die Zunahme der menschlichen Würde, Ernst und Kraft, die wiederkehren, und eine Geistigkeit bereit zur Tat: Geschenke der Niederlage.“[9] Heinrich Mann spricht äußert zutreffend über Zola, dessen Leben, dessen Texte und dessen Handeln. Aber permanent liest man dabei auch Manns eigenes Denken und seine Handlungsintentionen. Sein Hoffen und Wünschen, den Sinn und Zweck seiner Arbeit und seines Handelns. In seinem Nachwort zu dem von ihm herausgegebenen Text formuliert Kantorowicz diesen Zola-Text auch als „Selbstbekenntnis Heinrich Manns“[10].
Die konsequente Fortführung dieser Überlegungen und Forderungen finden sich dann im Schreiben und Handeln Manns während seiner Exilzeit in Frankreich. Dorthin musste er nach der Machtübernahme durch die Nazifaschisten als einer ihrer prominentesten und nachhaltigsten Kritiker fliehen. Im Juni 1932 hatte er gemeinsam mit Albert Einstein, Käthe Kollwitz und anderen einen „Dringenden Appell“ unterzeichnet, der Aufbau einer einheitlichen Arbeiterfront und das Zusammengehen von SPD und KPD forderte.[11] Er endete mit dem Satz: „Sorgen wir dafür, daß nicht Trägheit der Natur und Feigheit des Herzens uns in die Barbarei versinken lassen!
Außerordentlich groß ist im französischen Exil die publizistische Tätigkeit Heinrich Manns. Nach einer Untersuchung von Karl Pawek in seiner Dissertation von 1972 sind es über 330 Aufsätze, Aufrufe und Vorworte. Hierbei sind die Sammelbände »Der Haß«, »Es kommt der Tag« und »Mut« noch nicht berücksichtigt.[12] Er ist in nahezu allen relevanten Zeitschriften des Exils vertreten. Eine besondere Tätigkeit Heinrich Manns in den Jahren 1935-1939 liegt in seiner Tätigkeit für die Volksfront. Er ist also nicht nur literarisch, sondern auch politisch tätig. Getreu seinem Leitmotiv der Einheit von Geist und Tat. Das Scheitern dieser Bemühungen wird in der Literatur unterschiedlich gesehen und bewertet. Dabei geht es nicht nur um den Blick westlicher Forscher*innen oder (ehemaliger) DDR-Forscher*innen, sondern auch um die jeweilige politische Perspektive in Bezug auf das Handeln der partei-politisch einzuschätzenden Personen.[13]
Viele Schriftsteller im Exil wandten sich der Verfassung sogenannter historischer Romane zu. Hans Mayer stellt in seinem Beitrag »Heinrich Manns „Henri Quatre“« fest: „Die meisten Emigrationsschriftsteller suchten sich Themen und Gestalten woran sie Gegenwartskonflikte zwischen Humanität und Antihumanität sozusagen auf dem „neutralen“ geschichtlichen Terrain abhandeln konnten. Die meisten Schriftsteller waren und blieben bürgerliche Autoren. Für sie wurde plötzlich, trotz der ironischen Warnung eines Friedrich Hebbel, der Schriftsteller zum „Auferstehungsengel der Geschichte“.[14] Über das Sujet des historischen Romans hat es umfangreiche, spannende Auseinandersetzungen gegeben. In diesem Kontext zu nennen sind insbesondere die Betrachtungen Lion Feuchtwangers und Georg Lukács auf den sich Hans Mayer – nicht das Buch, aber andere Analysen kennend – unausgesprochen bezieht.[15]
Heinrich Manns zweibändiges Romanwerk ist nach Mayers Auffassung ein echter historischer Roman, der nicht mit zwanghaftem Vergleichsblick auf die aktuelle Entwicklung geschrieben ist. Wie der berühmte »Untertan«, der das kaiserliche Deutschland betrifft, aber schon die Perspektive auf den kommenden Faschismus hat, zielt auch der »Henri Quatre« auf die Gegenwart. Quasi in Form eines Gegenentwurfs. Die Politik des französischen Königs zielt auf „Respekt vor dem Leben und Glück der Mitmenschen, (sowie) die Sorge für das Glück des Volkes.“
Explizit am Ende des Buches, in der „Moralité“ aus einer Wolke, die von einem Blitzstrahl erhellt wird, spricht Henri Quatre und mit ihm auch Heinrich Mann in die Gegenwart: „… ich bin nicht tot. Ich lebe, und doch nicht auf eine übernatürliche Weise. Ihr setzt mein Werk fort. Bewahrt euch all euren Mut, mitten im fürchterlichen Handgemenge, in dem so viele mächtige Feinde euch bedrohen. Es gibt immer Unterdrücker des Volkes, die habe ich schon zu meiner Zeit nicht geliebt; kaum, daß sie ihr Kleid gewechselt haben, keineswegs aber ihr Gesicht (ihre Grundhaltung, HM) … Fürchtet euch nicht vor den Messern, die man gegen euch zückt. Ich habe sie grundlos gefürchtet. Macht es besser als ich.“[16]
Sehr zu Recht hat Jeanine Meerapfel, die Präsidentin der Akademie der Künste, in ihrer Video-Ansprache zum 150. Geburtstag Heinrich Manns die Bedeutung des »Henri Quatre« herausgestellt. Zu danken ist ihr und anderen Einrichtungen, die das literarische Erbe Heinrich Manns hüten, dass alle Quellen nun digital zugänglich gemacht werden.[17] Den ersten Eindruck gibt eine virtuelle Ausstellung (siehe: https://www.heinrich-mann-digital.net/HMD/). Wen es mehr zum gedruckten Buch zieht, sei auf die Neuausgabe des »Professor Unrat« mit Bildern von Martin Stark erschienen in der Büchergilde Gutenberg verwiesen.
[1] Hans Mayer, Die Größe Heinrich Manns, in: Abend der Vernunft, Frankfurt am Main 1990, S. 179-195
[2] Alfred Kantorowicz, Heinrich Manns Vermächtnis, in Sonderheft Text und Kritik Heinrich Mann, München 1971, S. 15-33, hier S.30
[3] Zitiert nach Sonderheft Heinrich Mann, S. 123
[4] Heinrich Mann, Verteidigung der Kultur – Antifaschistische Streitschriften und Essays, Berlin und Weimar 21973, S. 126 und 128
[5] Heinrich Mann, Ein Zeitalter wird besichtigt, Berlin 1973, S. 181
[6] Heinrich Mann, Geist und Tat, in: Essays Erster Band, herausgegeben von Alfred Kantorowicz, Berlin 1954, S. 7-14, hier S. 8 und 11
[7] A.a.O., S.13
[8] Hans Mayer, Französisch-deutsche Spannungen: Thomas und Heinrich Mann Tübinger Universitätsvortrag 1985, in: Bürgerliche Endzeit – Reden und Vorträge 1980 bis 2000, Frankfurt am Main 2000, S. 43-63, hier S. 48f
[9] Heinrich Mann, Zola, in: Heinrich Mann, Essays – Erster Band, Berlin 1954 herausgegeben von Alfred Kantorowicz, S. 197
[10] A.a.O., S. 487
[11] Heinrich Mann, Essays und Publizistik Band 5 1930 bis Februar 1933, herausgegeben von Wolfgang Klein, Anne Flierl und Volker Riedel, Bielefeld 2009, S.456f. Der Aufruf erschien zuerst in der von Willi Eichler herausgegebenen Zeitschrift »Der Funke« und wurde dann auch als Plakat verbreitet. Es wurde für die Reichstagswahlen am 5. März 1933 erneut verbreitet. Das Plakat wurde der Anlass für den am 15. Februar erzwungenen Austritt Heinrich Manns aus der Akademie der Künste.
[12] Siehe Karl Pawek, Heinrich Manns Kampf gegen den Faschismus im französischen Exil 1933-1940, Hamburg 1972, S. 35 ff
[13] Differenzierte Darstellungen finden sich bei Pawek in der genannten Publikation und Gerd Bauer/ Peter Stein in ihrem Beitrag „Heinrich Mann im Exil. Standort und Kampf für die deutsche Volksfront“, in: Lutz Winkler (Hrsg.) Antifaschistische Literatur – Programme Autoren Werke Band 1Kronberg Taunus 1977, S. 53-141. Siehe auch Willi Jasper im Nachwort zu der Ausgabe Heinrich Manns Mut vom März 1991 bei Fischer, S. 305ff und Willi Jasper, Heinrich Mann und die Volksfrontdiskussion, Bern 1982
[14] Hans Mayer, Heinrich Manns „Henri Quatre“ in: ders. Deutsche Literatur und Weltliteratur, Berlin 1957, S. 682-689, hier, S. 682
[15] Lion Feuchtwanger, Das Haus der Desdemona, Rudolstadt 1969 und Georg Lukács, Der historische Roman, Berlin 1955
[16] Übertragung der französischen Texte ins Deutsche im Anhang der von Alfred Kantorowicz herausgegebenen Ausgabe des „Henri Quatre“, Berlin 1952
[17] Siehe https://www.adk.de/de/programm/?we_objectID=62124