Eine phantastische, stark auch bildgeprägte Ausstellung, veranstaltete das »Werkbundarchiv Berlin« vom 28. Dezember 1990 bis zum 28. April 1991 im Martin-Gropius-Bau zum 50. Todestag von Walter Benjamin. Den Festvortrag zur Eröffnung der Ausstellung hielt Hans Mayer unter dem Titel »Walter Benjamin als Denker im 20. Jahrhundert«.
Die Intention der Ausstellung ging dahin, „Denkbilder“ zu entwerfen. Was Benjamin zur Geschichte der Kunst sage, gelte auch für die Darstellung seines Denkens: Sie »kann nur aus dem Standpunkt der unmittelbaren, aktualen Gegenwart geschrieben werden; denn jede Zeit besitzt, die ihr eigene, neue, aber unvererbbare Möglichkeit, die Prophetie zu deuten, die die Kunst von vergangenen Epochen gerade auf sie enthielt.«[1]
Eine Veröffentlichung oder ein Manuskript des Festvortrages von Hans Mayer konnte bisher nicht ermittelt werden. Gut ein Jahr später, hielt er an seiner alten Wirkungsstätte, der Universität Leipzig, eine Rede zum hundertsten Geburtstag Walter Benjamins. Der den Inhalt dieser Rede aufnehmende Essay beginnt mit den Worten: „Walter Benjamins Bedeutung als Kulturkritiker des 20. Jahrhunderts, das für ihn in der Mitte des 19. Jahrhunderts begann, nimmt zu.“[2] Die im Folgenden dann ausgeführten Überlegungen dürften im Grundsatz wohl auch in dem Festvortrag zu der Berliner Ausstellung enthalten gewesen sein. Bei der Universitätsrede, deren Beginn im Internet zu hören und zu sehen ist[3], machte Mayer einen Parforceritt durch das Leben und die Werke Benjamins. In den Ausführungen zu den Thesen »Über den Begriff der Geschichte« kommt Mayer auch auf den Engel der Geschichte zu sprechen, der auf eine einzige Kette von Begebenheiten zurückschaut, die Katastrophe an Katastrophe reiht. Aber: „Walter Benjamin hat es nicht preisgegeben das »Prinzip Hoffnung«. Auch der Engel der Geschichte leugnet es nicht, wie könnte er denn? In einer sehr tiefgründigen Studie über Walter Benjamin hat Peter Szondi von einer »Hoffnung im Vergangenen« gesprochen.“[4]
Hubert Kolland, Mitglied der Hans-Mayer-Gesellschaft, hat uns einen schönen, anekdotenhaften Text zugesandt, den ein damaliger Mitarbeiter des Werkbundarchivs aus einer Begegnung mit Hans Mayer nach der Ausstellungseröffnung gehabt hat:
„Walter Benjamin war seit den 1970er Jahren wiederentdeckt worden, und zahlreiche Wissenschaftler befassten sich mit dem Schriftsteller und Philosophen. Das Werkbund Archiv Berlin konzipierte unter dem Titel „Bucklicht Männlein und Engel der Geschichte, Walter Benjamin, Theoretiker der Moderne“ vom Dezember 1990 bis zum April 1991 im Berliner Martin-Gropius-Bau eine Ausstellung zum 50. Todestag Benjamins. Im Ausstellungsmagazin finden sich zahlreiche Beiträge von Kennern des Werkes. Unter ihnen war natürlich auch Hans Mayer.
Und es gelang, den berühmten Professor für einen Vortrag im Werkbundarchiv zu gewinnen! Am 27.12.1990 fand diese Veranstaltung abends statt. Er genoss es, von zahlreichen jungen Menschen hofiert zu werden. Nach seinem Vortrag jedoch strebten die Zuhörer nach Hause oder aber in die großen Ausstellungsräume.
Auch wir gingen langsam den breiten Flur hinunter. Dort stand am Ende – völlig alleingelassen – Professor Mayer. Wir gingen auf ihn zu und sprachen ihn an. Er schimpfte und war sehr echauffiert, dass man ihn einfach nicht mehr beachtete und sich um ihn kümmerte. Er wollte sofort zurück in sein Hotel, so etwas sei ihm noch nie passiert!
Zu dieser Zeit fuhren wir noch einen schönen alten Mercedes. Wir redeten auf ihn ein und boten ihm an, ihn in sein Hotel zu fahren. Er nahm das Angebot an, und wir kutschierten ihn dann einigermaßen standesgemäß zum Hotel Berlin am Lützowplatz. Zum Abschied schien er wieder etwas besänftigt zu sein.“
Irene und Hans Joachim Neyer
Irene und Hans Joachim Neyer arbeiteten damals im Werkbundarchiv.
Hans Joachim Neyer war bis 2012 Direktor des Wilhelm Busch-Museums in Hannover.
[1] Zitiert nach „Bucklicht Männlein und Engel der Geschichte” , Ausstellungsmagazin, Gießen 1990, S. 7.
[2] Hans Mayer, Der Zeitgenosse Walter Benjamin, Frankfurt am Main 1992, S. 9
[3] https://www.youtube.com/watch?v=c3YXKfqxsIQ
[4] Hans Mayer, Der Zeitgenosse, S.75f