„Blauäugigkeit und Realitätsverweigerung“?

Die Universität Köln feiert ihr 100jähriges Jubiläum. Der Kölner Stadtanzeiger veröffentlicht dazu eine Artikelserie mit unterschiedlichen Beiträgen. Am 17. 5. 2019 erschien ein Beitrag von Herrn Markus Schwering mit dem Titel “Im Gleichschritt in die Diktatur”. Hans Mayer hat in Köln Jura studiert und sein Doktorexamen gemacht. Der Doktortitel wurde ihm allerdings am 14.5.1938 entzogen: „Weil ausgebürgert“. Am 1.9. 1981 – nach 43 Jahren und ganze 36 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus – erhält er sein Diplom zurück! Eine im genannten Kontext interessante und beispielhafte Geschichte. Sie taucht bei Schwering nicht auf. Der versucht zu zeigen, wie Mayer sich als Student der UNI zum “braunen Treiben” dort geäußert hat. Den “politischen Schock” Mayers konstatiert er erst bei den Reichstagswahlen von 1930. “War da Blauäugigkeit und Realitätsverweigerung im Spiel?” fragt er….

Der komplette Artikel findet sich unter nachfolgendem link:
https://www.ksta.de/kultur/im-gleichschritt-in-die-diktatur-32554742

Ich habe mir erlaubt, einen Leserbrief zu schreiben:

„Blauäugigkeit und Realitätsverweigerung“?
Erfreulich ist, dass Herr Schwering in seinem Artikel „Im Gleichschritt in die Diktatur“ (Freitag 17.5.2019) mehrfach den an der Kölner Universität promovierten Juristen und „nachmaligen berühmten Literaturwissenschaftler und Essayist Hans Mayer“ zitiert. Er vermisst dann, dass man in Mayers Erinnerungen „nichts vom braunen Treiben an der Kölner Uni liest.“ Es folgt die Suggestivfrage, ob „da Blauäugigkeit und Realitätsverweigerung im Spiel“ war. Er beantwortet sie mit dem berühmten Tucholskyschen «Jein». Das greift allerdings für einen belesenen Mann wie Herrn Schwering zu kurz. Die marxistische und sozialistische und damit antifaschistische Position des Studenten Mayer lässt sich seitenweise aus den Erinnerungen erkennen. Die Faschismusanalyse Thalheimers von der KPO, der Mayer nahestand, ist ein weiteres Beispiel. Der Hinweis auf den Prozess des NSDAP-Gauleiter Dr. Robert Ley ist auch nicht zu übersehen. Mayer hatte dem als Gerichtsreferendar beigewohnt. Die Folge: „Mir hatte man nichts vergessen im braunen Haus. An einem Sommerabend war ich überfallen und zusammengeschlagenen worden.“ Mayer flüchtete zum zweiten Staatsexamen nach Berlin und entkam so „den Braunen, die ihn abholen wollten.“ In Berlin hatte er übrigens auch 1926/1927 studiert. War also zeitweise gar nicht in Köln, sondern in Berlin. Wer allerdings mehr über seine Einschätzung zur juristische Ausbildung in Köln und die Weimarer Zeit lesen will, schaue in Mayers »Reden über Deutschland« und den Vortrag »Aus den Erinnerungen eines entlaufenen Juristen« (gehalten am 16. Oktober 1987 im Kölner Gürzenich) Ein Fazit: „Die Frage nach unseren juristischen Lehrjahren in der Weimarer »Systemzeit«, wie braune Propaganda zu sagen pflegte, hängt untrennbar zusammen mit dem immer noch unbegreiflichen Phänomen, daß deutsche Richter und deutsche Anwälte sowohl des Staates wie irgendwelcher Prozeßparteien imstande waren, ihre Rechtswissenschaft einzusetzen für ein Unrechtssystem. Was heißen mußte: Mittun beim Unrechttun.“ Viel Spaß beim Lesen!

Heinrich Bleicher-Nagelsmann
Vorsitzender der Hans-Mayer-Gesellschaft