Sie ist ein lebendiges Feuer,
wie ich es noch nie gesehen habe,
… Dabei äußerst zart, mutig, klug…“[i]
Bekannt geworden ist der Vorname dieser tschechischen Journalistin, Übersetzerin, Feministin und Widerstandskämpferin durch die Veröffentlichung der »Briefe an Milena«.[1] Jahre lang war sie in der literarischen Öffentlichkeit nur als Geliebte Kafkas bekannt; ohne ihren Nachnamen. Ähnlich war es der ersten Geliebten und zeitweise Verlobten Kafkas, Felice Bauer, ergangen. Aus Geldnot hatte sie Kafkas an sie gerichteten Briefe an den Schocken-Verlag in New York verkauft. Sie erschienen 1967 unter dem Titel Briefe an Felice auf Deutsch und 1973 in englischer Übersetzung.[2] Kein geringerer als der spätere Nobelpreisträger Elias Canetti widmet sich 1968 den Briefen in einem längeren Essay unter dem Titel »Der andere Prozeß«. Er konstatiert, dass man Felice Bauer wirklich dankbar sein muß, dass sie die Briefe Kafkas bewahrt und gerettet hat, auch wenn sie es dann über sich bringen musste, sie zu verkaufen. Er hält fest: „Ich habe diese Briefe mit einer Ergriffenheit gelesen, wie ich sie seit Jahren bei keinem literarischen Werk erlebt habe.“[3]
Das Kafka-Jahr ist weitgehend verstrichen, ohne dass meines Erachtens angemessenen auch an die Frauen gedacht wurde, die sein Leben wesentlich bestimmt haben. Eine gewisse Ausnahme ist die Fernsehserie in der ARD, die jeweils einen Film zu den drei wesentlichen Beziehungen gebracht hat.[4]
Erst seit den 1990er Jahren gibt es Publikationen, die sich der Person sowie dem Journalistenleben Milena Jesenskás widmen. Viel zu danken ist dafür ihrer Biografin Alena Wagnerová, die zuletzt 2020 bei Wallstein ein Buch mit Jesenskás Reportagen verwirklicht hat.[5]
Die Beziehung Milena Jesenskás zu Kafka war völlig anders als die zu seinen vorherigen Partnerinnen Felice Bauer und Julie Wohryzek. Kurzfristig kennen gelernt hatten sich die beiden bei einem Treffen des Prager Literatenkreises um Max Brod und Franz Werfel im Cafe Arco in Prag. Milena lebte zu dem Zeitpunkt mit ihrem Mann Ernst Pollak in Wien. Die Jungvermählten waren dort Mitte März 1918 hingezogen, nachdem der Vater Milenas, Dr. Jan Jesenský, Professor für Zahnmedizin an der Karlsuniversität, gegen seinen Willen der Heirat mit dem von ihm abgelehnten Pollak wegen der Volljährigkeit seiner Tochter hatte zustimmen müssen.[6] Als Milena und Kafka sich kennenlernten, war die Ehe mit Pollak schon im Auflösungsprozess begriffen. Die materiellen Verhältnisse im Nachkriegs-Wien waren für die junge Ehefrau schwierig. Als eine Verdienstmöglichkeit sah sie die Chance von Übersetzungen aus dem Deutschen ins Tschechische. Pollak hatte ihr wohl geraten dafür Kafka anzusprechen. Der stimmte zu und am 22. April 1920 erschien die Prager Literaturzeitschrift »Kmen« mit einem einzigen Beitrag, Kafkas Romankapitel „Der Heizer“. Wie aus dem Brief an Milena von Ende April aus Meran hervorgeht, erhielt Kafka ein Exemplar der Zeitschrift. „Als ich das Heft aus dem grossen Kouvert zog, war ich fast enttäuscht. Ich wollte von Ihnen hören und nicht die allzu gut bekannte Stimme aus dem alten Grabe. Warum mischte sie sich zwischen uns? Bis mir dann einfiel, dass sie auch zwischen uns vermittelt hatte. Im übrigen aber ist es mir unbegreiflich, dass Sie diese große Mühe auf sich genommen haben, und tief rührend, mit welcher Treue Sie es getan haben, Sätzchen auf und ab, einer Treue, deren Möglichkeit und schöne natürliche Berechtigung, mit der Sie sie üben, ich in der tschechischen Sprache nicht vermutet habe. So nahe deutsch und tschechisch? Aber wie das auch sein mag, jedenfalls ist es eine abgründig schlechte Geschichte, mit einer Leichtigkeit, wie nichts sonst, könnte ich liebe Frau Milena Ihnen das fast Zeile für Zeile nachweisen, nur der Widerwille dabei wäre noch ein wenig stärker als der Beweis. Daß Sie die Geschichte gern haben, gibt ihr natürlich Wert, trübt mir aber ein wenig das Bild der Welt. Nichts mehr davon.“[7]
Wie wenig Milena als Übersetzerin nicht nur Kafkas bekannt war, zeigte sich auch im vergangenen Kafka-Jahr. Auf der deutschsprachigen Seite von Radio Prag erschien im August des vergangenen Jahres ein Beitrag mit Michelle Wood. Sie lehrt an der State University of New York in New Paltz Literatur- und Übersetzungswissenschaft und brachte 2013 eine Publikation mit dem Titel „Kafka Translated“ heraus. Ein Kapitel darin ist eben Milena Jesenská gewidmet. Im Interview mit dem Radio stellt Woods fest: „Um die Wende zum 20. Jahrhundert herum und dann auch nach 1918 wurde Übersetzung als wichtige Möglichkeit gesehen, die neuesten Texte aus aller Welt ins Tschechische zu übertragen. Dadurch sollte auch die hiesige Literatur bereichert werden. Man wollte frische Gedanken in die neugegründete Republik bringen.“ Und der interviewende Redakteur, Ferdinand Hauser, ergänzt: „Zudem könne die Beschäftigung mit Jesenská wichtige Impulse aus einer feministischen Perspektive bringen. Denn Übersetzung habe damals auch gesellschaftliche Teilhabe bedeutet und sei für Frauen oft eine willkommene Möglichkeit gewesen, in die Literaturszene einzusteigen, so Woods im Interview für Radio Prag International.[8]
Entscheidend für die Beziehung zwischen Kafka und Milena ist aber, so Alena Wagnerová, dass ihm „in Milena zum ersten Mal in seinem Leben eine Frau begegnet, die ihm ebenbürtig ist“[9] und ihn trotz aller Verschiedenartigkeit versteht. Andererseits geben Kafkas Briefe „Milena Jesenská genau das, was sie in der Ehe mit Ernst Polak und wohl schon einige Jahre vorher, vielleicht seit dem Tod der Mutter so bitter entbehrt hat: das Gefühl der Wärme und Geborgenheit.“[10] „Man müßte Milena Ihr Gesicht zwischen beide Hände nehmen und ihnen fest in die Augen sehen damit sie in den Augen des anderen sich selbst erkennen und von da an nicht mehr imstande sind, Dinge wie sie sie dort geschrieben haben, auch nur zu denken.“[11]
Nachdrücklich interessiert ist Kafka auch an den Artikeln, die Milena schreibt. Nicht nur an politischen oder literarischen, sondern auch an ihren Artikeln über Mode. Im Brief vom 29. Mai 1920 schreibt er: „Aber jedenfalls: das ist keine gewöhnliche Schreiberin, die das geschrieben hat. Ich habe danach zu Ihrem Schreiben fast so viel Vertrauen wie zu Ihnen selbst. Ich kenne (bei meiner geringen Kenntnis) im Tschechischen nur eine Sprachmusik, die der Božena Nĕmcová, hier ist eine andere Musik, aber jener verwandt an Entschlossenheit, Leidenschaft, Lieblichkeit und vor allem seiner hellsichtigen Klugheit.“
Wie nah und auf besondere Art vertraut sich die beiden sind, zeigt sich insbesondere bei und nach ihrer viertägigen Begegnung in Wien. Milena bringt dies in einem Briefwechsel mit Max Brod, der sowohl für Kafka als auch für Milena eine Vertrauensperson in Bezug auf deren Verhältnis ist, zum Ausdruck. Sie bittet ihn nachdrücklich sie wissen zu lassen, wenn „Frank“[12] leidet, insbesondere wenn es scheint, dass das ihretwegen ist. In ihrem Brief von 29. Juli an Brod schreibt sie: „Ich war wirklich sehr erschrocken, ich wusste es nicht, daß Franzens Krankheit so ernst ist, hier war er wirklich wie gesund, husten habe ich ihn überhaupt nicht gehört, er war frisch und froh und schlief gut. Sie danken mir lieber, lieber Max. Sie danken mir, anstatt mir Vorwürfe zu machen, daß ich schon längst nicht bei ihm bin, daß ich hier sitze und nur Briefe schreibe. Ich bitte Sie – ich bitte Sie darum: denken Sie nicht von mir, daß ich schlecht bin, daß ich es mir leicht mache. Ich bin ganz zerquält hier, ganz verzweifelt (nicht Frank sagen!) und weiß für mich keinen Rat und keine Hilfe. Daß sie aber schreiben, daß Frank doch etwas aus mir hat und von mir hat, etwas gutes, das ist, wirklich Max, das ist das größte Glück überhaupt.“[13]
In einem weiteren Brief an Brod macht Milena deutlich wie gut sie Kafka und seine Verhaltens- und Denkweisen kennt. Außerordentlich erstaunlich, weil sie ihn nur aus seinen Briefen und aus der viertägigen Begegnung in Wien kennt. „Sie sagen, wie es komme, daß sich Frank vor der Liebe fürchtet und vor dem Leben nicht fürchtet? Aber ich denke, daß es anders ist. Für ihn ist das Leben etwas gänzlich anderes als für alle anderen Menschen, vor allem sind für ihn das Geld, die Börse, die Devisenzentrale, eine Schreibmaschine völlig mystische Dinge. Sie sind für ihn die seltsamsten Rätsel, zu denen er durchaus nicht so steht wie wir.“[14] Im Folgenden führt sie dann überzeugende Beispiele für ihre Einschätzung an. Weitere kluge Betrachtungen zu den Problemkomplexen in Bezug auf Kafka, die unter den Begriffen Schuld und Angst zu fassen sind, macht sie ebenfalls deutlich. Über seine tief in ihm verankerte Angst hatte Kafka Milena in seinem Brief vom 23. Juni 1920 geschrieben. Dies konkret auch in Bezug auf sein Verhältnis zu seinem Vater.[15] Er hatte ihr zugesagt, ihr den Brief an seinen Vater zu lesen zu geben. Ein außerordentlicher Beweis, der keiner anderen Person zuteil wurde. Handschriftlich hatte er in dem Originalbrief Erläuterungen für Milena eingetragen. Ob sie den Brief jedoch jemals komplett erhalten hat, ist ungewiss.[16]
Kafkas Krankheit, Schlaflosigkeit und seine Angstgefühle verschlechtern zusehends seine Verfassung, trotz oder vielleicht auch wegen des intensiven fast täglichen Briefwechsels mit Milena. Außerdem hat er die Sorge Milena, die zeitweise krank ist, zu verletzen. Am 10. September 1920 schreibt er: „Eben kam dein Telegramm. Du hast vollständig recht, ich habe es trostlos dumm und grob gemacht, es war aber nicht anders möglich, denn wir leben in Mißverständnissen, mit unseren Antworten entwerten wir unsere Fragen. __Wir müssen jetzt aufhören uns zu schreiben und die Zukunft der Zukunft überlassen.“[17] Fünf Tage später heiß es: „Es ist kein Gesetz, das mir verbietet, dir noch zu schreiben…“ und dann zwölf Zeilen später unterstrichen: „Du sollst mir immer schreiben, wenn es irgendwie nötig wird, aber das ist ja selbstverständlich.“[18] Und 5 Tage später heißt es wiederum: „Aber im Grunde habe ich deshalb nicht geschrieben, weil ich das unklare Gefühl habe, ich hätte dir so viel und so äußerst wichtiges zu schreiben, daß keine noch so freie Zeit frei genug wäre alle Kräfte dafür zusammenzufassen.“[19]
Klug hat Hartmut Binder in dem Milena-Kapitel seines Buches »Kafka. Ein Leben in Prag« das erschriebene Liebesverhältnis Kafkas mit Milena – auch im Vergleich mit dem zu Felice Bauer – beschrieben.[20] „Trotzdem, dies ist nur die eine, weniger wichtige Seite der Angelegenheit. Anders als Felice stand Milena ganz auf seiner Seite, nicht nur als Literatin und selbstständige Frau, die sich den Ansprüchen ihres Vaters entzogen hatte, sondern auch, indem sie die Berechtigung seiner Lebensängste anerkannte, sogar ihr gegenüber, sein Selbstbewusstsein nicht durch Vorwürfe schwächte, ihn nicht leiden ließ. Dadurch ermöglichte sie ihm seinerseits eine Offenheit, die er sonst keinem Menschen entgegenbrachte. So gab er ihr nicht nur das Manuskript des >Verschollenen< und des >Schloss< Roman zum Lesen, sondern auch sämtliche Tagebuchhefte, die selbst sein bester Freund Max Brod zu seinen Lebzeiten nie zu Gesicht bekam und nach einer testamentarischen Verfügung am liebsten ungelesen verbrennen sollte. Und diese Übergaben erfolgten sogar erst zu Zeiten, als die eigentliche Liebesbeziehung längst schon gescheitert war.“[21]
Ende 1920 ist der Briefwechsel mit Milena im Prinzip beendet. Seit Mai 1921 lebt Milena wieder in Prag und arbeitet dort als Journalistin und Übersetzerin. Soweit es ihm möglich ist, liest Kafka weiterhin die Artikel Milenas. Mehrfach besucht diese den kranken Kafka. In den Jahren 1921-1923 gibt es nur noch vereinzelt einige Briefe sowie einige Postkarten an Milena. In einem Brief vom Ende März 1922 heißt es: „Wie kam man nur auf den Gedanken, daß Menschen durch Briefe mit einander verkehren können!“[22]
Nachdem Kafka seine dritte wesentliche Liebesbeziehung mit Dora Diamant erlebt,[23] mit der er auch in Berlin zusammenlebte, stirbt er am 3. Juni gepflegt von Dora und seinem Freund Robert Klopstock in einem Sanatorium in Kierling bei Klosterneuburg. Drei Tage später erscheint in der Zeitung „Národní listy“ Milenas berühmter Nachruf auf Kafka.
„Vorgestern starb im Sanatorium Kierling in Klosterneuburg bei Wien Dr. Franz Kafka, ein deutscher Schriftsteller, der in Prag gelebt hat. Es kannten ihn hier nur wenige, denn er war ein Einsiedler, ein wissender, vom Leben erschreckter Mensch. Er litt bereits jahrelang an einer Lungenkrankheit, und obwohl er sie behandeln ließ, hat er sie doch auch bewusst gehegt und geistig gefördert. »Wenn die Seele und das Herz die Bürde nicht mehr ertragen, dann nimmt die Lunge die Hälfte auf sich, damit die Last wenigstens einigermaßen gleichmäßig verteilt sei«, schrieb er einmal in einem Brief, und so verhielt es sich auch mit seiner Krankheit. Sie verlieh ihm ein ans Wunderbare grenzendes Feingefühl und eine geistige Lauterkeit, die bis zum Grauenerregen kompromisslos war; und umgekehrt war er es, der Mensch, der seiner Krankheit die ganze Last seiner geistigen Lebensangst auflud. Er war scheu, ängstlich, sanft und gut, aber die Bücher, die er schrieb, waren grausam und schmerzhaft.“[24]
„Národní listy“ ist die Zeitung, in der Milena schon seit längerem journalistisch erfolgreich tätig ist. Seit sie 1919 von Wien aus journalistisch für Prager Publikationen arbeitet, hat sie sich zu einer gefragten Journalistin entwickelt.[25] Mit mehreren Kolleginnen arbeitet sie ab 1926 schwerpunktmäßig für die Frauenseite von „Národní listy“. Gemeinsam tragen sie dazu bei, das neue Lebensgefühl emanzipierter Frauen zu verbreiten.[26]
Im Sommer 1926 lernt Milena den jungen Architekten Jaromír Krejar kennen. Die beiden bekommen 1928 ein Kind, das Mädchen Honza, das trotz einer schweren Krankheit Milenas vor der Geburt, gesund zur Welt kommt. Milena aber bleibt von da an mit einem steifen Knie so beeinträchtigt, dass sie kontinuierlich die Schmerzen mit Morphium bekämpfen muß. Im Herbst 1929 kommt sie langsam in ihr Alltagsleben zurück. Es folgen berufliche Rückschläge und die Kündigung durch „Národní listy“. Mit der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre schließt sich die schon lange linksstehende Milena der kommunistischen Partei (KPTsch) an, trotz des darin eintretenden Schwenks zum Stalinismus. Zunehmend schreibt sie, weil andere Zeitungen sie nicht mehr beschäftigen, für die kommunistische Presse. Außerdem macht sie Parteiarbeit und hilft verfolgten Kommunisten. Doch mit den „Moskauer Prozessen“ endet ihre Zugehörigkeit zur KPTsch. Sie erlebt eine Zeit „extremer existenzieller Not und eine tiefe persönliche Krise.“[27] 1937 bietet ihr der Chefredakteur der Zeitschrift Přítomnost, Ferdinand Peroutka, eine feste Stelle in der Redaktion an. Sei schreibt aktuelle politische Artikel und gründlich recherchierte Reportagen. In seinem Beitrag für eine deutsch-tschechische Tagung über Milena im Jahr 2014 schildert Petr Pithart ihre Arbeit für die Zeitschrift und auch ihre Tätigkeit als Fluchthelferin nach der Besetzung der Tschechoslowakei 1938.[28] Im September 1939 wird die Zeitung verboten. Für die Gestapo ist Milena keine Unbekannte. Am 11. November wird sie verhaftet und wochenlang verhört. Im Frühjahr 1940 wird sie wegen des Verdachts auf Hochverrat in Dresden vor Gericht gestellt.[29] Das Verfahren wurde eingestellt und Milena zurück nach Prag gebracht. Die Dresdener Gefängniszeit hatte ihr schwere gesundheitliche Schäden gebracht und einen Gewichtsverlust von ca. 40 Kilo.[30] Im Prager Gefängnis hatte ihr Vater sie noch besuchen können, aber im Oktober 1940 kam sie in „Schutzhaft“ nach Ravensbrück.
Über die dreieinhalb Jahre, die sie dort bis zu ihrem Tod am 17. Mai 1944 verbracht hat, hatte als Erste Margarete Buber-Neumann in ihrem Milena-Buch berichtet.[31] Inzwischen gibt es neuere Forschungen und Berichte, sie finden sich in dem Beitrag von Insa Eschenbach in dem Buch zur Milena-Tagung.[32] Darin gibt es auch einen Beitrag von Eduard Goldstücker der 1963 die berühmte Kafka-Konferenz in Liblice ausgerichtet hat. Er hatte Milena in den 1930 Jahren in Prag persönlich kennengelernt. In seinem Text „Á propos Milena Jesenská“ knüpft er nicht nur an die Liebesbeziehung Kafkas und Milenas an, sondern nimmt die Gelegenheit „für eine gerechte Würdigung dieser ungewöhnlichen Frau“ wahr.
Alena Wagnerová schließt ihre Biografie Milenas mit einem Nachruf der aus einem Brief von Walter Tschuppik (einem Freund aus Wien) an Joachim von Zedtwitz, einem der wichtigsten Fluchthelfer und Freund Milenas, stammt:
„Und sagen Sie (ihrer Tochter), das Milena Jesenská vor mir in der Erinnerung als der gütigste und größte Mensch steht, dem ich je begegnet bin. Ihre Selbstlosigkeit, ihr Mut, ihre Entschlossenheit, ihr kühnes Handeln – ach, wie mußte sie es büßen, ein außergewöhnlicher Mensch zu sein. (…) Als ich Nachricht von Ihrem Tod erhielt, (…) schämte ich mich wahrhaftig, daß ich mein armseliges Leben gerettet hatte und daß sie, die Wertvolle, tot sein sollte!“[33]
[1] Franz Kafka, Briefe an Milena, New York 1952. Die erste deutsche Ausgabe erschien zwei Jahre später im Fischerverlag. Im Folgenden wird zitiert aus der Erweiterten Neuausgabe, herausgegeben von Jürgen Born und Michael Müller, Frankfurt am Main 1986
[2] Franz Kafka: Briefe an Felice und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit, Frankfurt am Main 1967. Weitere Informationen über Felice Bauer befinden sich hier: https://www.franzkafka.de/leben/frauen/felice-bauer
[3] Elias Canetti, Der andere Prozeß. Kafkas Briefe an Felice, München 1976.
[4] Die Serie ist noch in der Mediathek der ARD zu sehen: https://www.ardmediathek.de/serie/kafka/staffel-1/Y3JpZDovL25kci5kZS80OTg3/1
[5] Milena Jesenská, Prager Hinterhöfe im Frühling. Feuilletons und Reportagen 1919-1939, hrsg. von Alena Wagnerová, Göttingen 2020.
[6] Auf die komplizierte Vorgeschichte dieser Beziehung, zu der eine Zwangseinweisung Milenas durch ihren Vater in eine Irrenanstalt gehörte, kann hier nicht eingegangen werden. Kindheit und Jugend Milenas werden ausführlich in Alena Wagnerovás Biographie Milenas geschildert: Fischer Taschenbuch Frankfurt am Main 1997. Eine Kurzfassung des Lebenslaufs sowie weitere Literaturhinweise finden sich im Internet unter der Adresse: https://www.franzkafka.de/leben/frauen/milena-jesenska
[7] Kafka, Briefe an Milena, S.8f. Auf der Homepage der Seite „franzkafka.de“ wird als Datum der 8. Mai als Erhalt seiner ersten Übersetzung genannt. https://www.franzkafka.de/fundstuecke/die-erste-uebersetzung
[8] https://deutsch.radio.cz/milena-jesenska-die-uebersehene-uebersetzerin-8825175
[9] Alena Wagnerová, Milena Jesenská, S. 89
[10] A.a.O., S. 88
[11] Kafka, Briefe, S. 44
[12] In dem Zeitraum ihrer innigen (brieflichen) Liebesbeziehung, aber auch bei der Begegnung in Wien nennt Milena Kafka „Frank“. In dem Fundstück „Frank und Milena“ heißt es: „Überliefert ist jedoch, dass Milena Jesenská sich mit Kafkas Namen einen besonderen Spaß erlaubte. Nachdem er mehrere seiner frühen Briefe an sie mit »FranzK.« unterzeichnet hatte, was man auf den ersten Blick – siehe die Abbildung (dokumentiert auf der verlinkten Seite) – leicht als »Frank« lesen konnte, nannte sie ihn fortan konsequent Frank, mündlich wie schriftlich. Wie ihre Briefe an Max Brod belegen, blieb sie bei dieser Gewohnheit sogar gegenüber Dritten.
Kafka scheint den neuen Namen wie einen Ehrentitel getragen zu haben: »Franz« repräsentierte die Vergangenheit, »Frank« die neuen Lebenschancen…“ Siehe: https://www.franzkafka.de/fundstuecke/frank-und-milena
[13] Kafka, Briefe, S. 361
[14] A.a.O., S.363
[15] A.a.O. S. 75
[16] Siehe dazu das Nachwort von Joachim Unseld in Franz Kafka, Brief an den Vater. Faksimile herausgegeben und mit einem Nachwort von Joachim Unseld, Frankfurt am Main 1997, S. 185-238.
Klug analysiert Unseld den Macht- und auch Furchtkomplex, die der „Brief an den Vater“ für das Leben und Denken Kafkas intensiv schildert.
Siehe auch die Ausführungen auf der Kafka-Seite: https://www.franzkafka.de/werk/brief-an-den-vater
[17] Kafka, Briefe, S. 258f
[18] A.a.O., S. 264
[19] A.a.O., S. 269
[20] Hartmut Binder, Jan Parik, Kafka. Ein Leben in Prag, Essen/München 1993
[21] A.a.O., S. 202
[22] A.a.O., S. 302
[23] Dieter Lamping, Anders leben. Franz Kafka und Dora Diamant, Berlin 2023
[24] Kafka, Briefe, S. 379. Der vollständige Text mit Erläuterungen findet sich auch auf dieser Homepage: https://www.franzkafka.de/fundstuecke/milenas-nachruf
[25] Siehe dazu das Kapitel „Die junge Journalistin“ in Alena Wagnerova, Milena Jesenská, S. 100-107
[26] A.a.O., S. 109ff
[27] A.a.O., S. 148
[28] Milena Jesenká, biografie – zeitgeschichte – erinnerung, Prag 2016, S. 212-227. Siehe auch Alena Wagnerowa, S. 150ff
[29] Siehe hierzu den Beitrag von Birgit Sack „Die Bedeutung Dresdens für die justizielle Verfolgung des tschechischen Widerstands“ in dem Tagungsreader.
[30] Im Archiv des tschechischen Innenministeriums hatte die Journalistin Marie Jirásková die Gestapoakte von Milena gefunden und 1995 in einer Artikelserie der Zeitschrift »Literarní Noviny« darüber berichtet. Erweitert um weitere Dokumente ist diese Serie als Buch erschienen Marie Jirásková, Kurzer Bericht über drei Entscheidungen: Die Gestapo-Akte Milena Jesenská, Frankfurt/Main 1996, S.53
[31] Margarete Buber-Neumann, Milena, Kafkas Freundin, München (1963) 1977
[32] Insa Eschenbach, Milena Jesenská und Ravensbrück, Ein Beitrag zur Erinnerungsgeschichte des Frauen-Konzentrationslagers, S.122-143
[33] Alena Wagnerová, Milena, S. 188
[i] Max Brod Franz Kafka – Eine Freundschaft. Briefwechsel, herausgegeben von Malcolm Pasley, Frankfurt am Main 1989, S. 276