Zum 125. Geburtstag Bertolt Brechts
„Niemals wieder, weder vorher noch später, hab ich ihn so glücklich, heiter und daseinswillig erleben können wie in jenen Frühlingstagen des Jahres 1954 in Amsterdam.“[1] Mit diesen Worten beginnt Hans Mayer seine Erinnerung an Brecht in dem 1996 erschienen letzten Buch über den Schriftsteller mit dessen Werk er sich über 40 Jahre beschäftigt hat.[2]
Kennengelernt hatte der junge Hans Mayer Texte von Brecht schon mit 15 Jahren. Besonders beeindruckt hatte ihn nach dem Kriegserlebnis als Junge das Gedicht der »Legende vom toten Soldaten«. Mit den frühen Dramen konnte er sich aber nicht recht anfreunden. Der Durchbruch kam mit der »Dreigroschenoper«, die Mayer 1928 in Berlin in der damaligen Originalbesetzung gesehen hatte; später dann auch in Köln und Düsseldorf. Zur Zeit der »Dreigroschenoper« hatte der früher eher anarchisch orientierte Brecht sich dem Studium des Marxismus gewidmet. Seine Lehrer damals waren Karl Korsch und Fritz Sternberg. Mit letzterem hatte er während seiner Berliner Zeit vor dem Exil im engen Kontakt gestanden. Einerseits in einer sich regelmäßig treffenden Gruppe zu der auch Alfred Döblin und Arnolt Bronnen gehörten. Andererseits standen aber Sternberg und Brecht, nachdem sie sich beim ersten Treffen fast zerstritten hatten, im sehr engen Austausch. Sternberg von Haus aus Ökonom und Soziologe, erhielt von Brecht jedes Manuskript zum Lesen als Voraussetzung für eine engen inhaltlichen Austausch. In seinen 1963 erschienen »Erinnerungen an Brecht« hat Sternberg diese Zeit von der Mitte der 20er Jahre bis zur Flucht ins Exil 1933 sehr dezidiert geschildert.[3]
In dieser Zeit war er einer der gefragtesten politischen Redner bei Veranstaltungen linker politischer Parteien und der Gewerkschaften. Hans Mayer hat in seiner Kölner Zeit vorübergehend auch eng mit ihm zusammengearbeitet und schildert ihn in seinem Buch »Ein Deutscher auf Widerruf«. »Die Wirkung des Mannes war außerordentlich, weit stärker als diejenige all der anderen Referenten mit oft berühmten Namen. Der Volkstribun eines Typs, den es in Deutschland kaum je gegeben hat in der wirklichen Arbeiterpolitik. Ein jüdischer Danton gleichsam, gedrungen, mit zornigen Armbewegungen und einem ansteckenden Hohngelächter, wenn er verkündete: »Die Bourgeoisie ist nicht mit der Demokratie verheiratet, sondern mit dem Profit!«“[4]
An dem promovierten Ökonomen und Soziologen schätzte Brecht aber auch dessen weitgefasste literarischen Kenntnisse. Die erste stundenlange Debatte zwischen den beiden drehte sich um die Frage, inwieweit im Drama oder der Literatur das Liebesverhältnis zwischen einem Mann und einer Frau tragenden Charakter für den gesamten Stoff haben könne. Der historische Rahmen dafür spannte sich von Platon über Dante, Shakespeare und Goethe bis in die Gegenwart. Resümierend stellt Sternberg in den Erinnerungen fest: „Wir redeten die ganzen Jahre immer wieder über ein und dasselbe Thema: über den Dichter in der Zeit, oder um es noch deutlicher zu sagen: über den Dichter in unserer, in der heutigen Zeit, über den Dichter in Deutschland vor 1933.“[5]
Für Brecht war unabdingbar, dass der Dichter sich zu den konkreten Verhältnissen äußern und auf deren Veränderung drängen müsse.
Angesichts der Wirtschaftskrise, steigender Arbeitslosigkeit und dem Aufstieg der Nazis diskutierte und stellte man sich die Frage, was zu schreiben und zu tun sei. Ein Thema dabei war die Frage, wie man zu den Leuten aus der Mittelschicht sprechen könne. Wie könne man einerseits die Gruppe der Handwerker und Kleinhändler ansprechen und andererseits Angestellte, Ingenieure oder Architekten. Für alle diese unterschiedlichen Gruppen musste man einen anderen Ansatzpunkt finden, sie anzusprechen und politisch zu überzeugen. Für jede von ihnen gäbe es einen unterschiedlichen „Umsetzungsgrund“. Spezifisch andere Zugänge gebe es auch zu der Gruppe der Frauen. Die innenpolitische Lage war ebenfalls ständiges Thema.
Differenziert war zwischen den Beiden auch die Einschätzung und Haltung zur Sozialdemokratie und zur Kommunistischen Partei. Ein einschneidendes gemeinsames Erlebnis war der 1. Mai 1929, der sogenannte „Blutmai“, an dem der sozialdemokratische Polizeipräsident Zörgiebel auf die gegen das Demonstrationsverbot protestierenden Kommunisten schießen ließ. Laut Sternberg waren es wohl die Erlebnisse der drei Tage vom 1. bis 3. Mai die Brecht in die Nähe der Kommunisten rücken ließ. „Daß Arbeiter, die wie seit Jahrzehnten am 1. Mai demonstrieren wollten, für die Polizei nur Pöbel darstellten, war wiederum für Brecht ein Erlebnis, daß er nicht mehr vergaß; noch ein Jahrzehnt später, als wir längst in der Emigration waren, erzählte er davon.“[6]
Ende 1930 als die Weltwirtschaftskrise bereits begonnen hatte, wurde Brechts Stück »Die Maßnahme« uraufgeführt. Für Sternberg war diese Aufführung „ein gewaltiges, einzigartiges Erlebnis.“[7] Nach jeder Aufführung gab es Diskussionen mit Brecht. „Er schrieb immer wieder neue Schlüsse zu seinen Stücken – und dies schon damals als keine Partei ihn dazu nötigte. Brecht wollte die Welt verändern, und es gab wohl keinen Marxschen Satz, der ihn stärker berührte als der, daß die Philosophen bisher die Welt nur verschieden interpretiert hatten, daß es aber gelte, sie zu verändern. Brecht wollte mit seinen Stücken die Welt verändern. Er war ein unermüdlicher Arbeiter auf diesem Feld.“[8] Ausführliche Diskussionen hatten die beiden auch über den »Julius Cäsar« von Shakespeare und die (Un-)Möglichkeit ihn aktuell als Theaterstück aufzuführen; anders als den »Galilei«. Dieses Stück in verschiedenen Fassungen ist nach Auffassung Sternbergs auch eine Art Schlüssel zum Verständnis des 17. Juni und der Politik der SED unter Ulbricht. „Brecht mußte für dieses Theater in Ostberlin zahlen, wie Galilei zahlen mußte, als er unter den Augen der Inquisition seine Forschungen fortführen mußte.”
Interessant, weil in vielerlei Hinsicht korrespondierend, sind auch die Ausführungen Hans Mayers zu den genannten Theaterstücken in dem Beitrag »Bert Brecht für Anfänger und Fortgeschrittene«.[9] Das Resümee dort ist allerdings – bezogen auf die Theaterkunst – nachdenklich stimmend: „Nicht zuletzt ist Brecht mit seinem Postulat einer neuen Zuschauerkunst gescheitert. Der von Ulbricht (und von Moskau) dekretierte real existierende Sozialismus hatte in der DDR bloß bewiesen, daß es, kaum verändert, ein deutsches Kleinbürgertum gab, welches wenig gelernt und kaum etwas vergessen hatte. Wie sollte da eine neue Zuschauerkunst entstehen. Sie besaß weder eine Basis noch einen Überbau.“[10]
Heinrich Bleicher
[1] Hans Mayer, Brecht, Frankfurt am Main 1996
[2] Siehe: http://www.hans-mayer-gesellschaft.de/hans-mayer/bibliographie/
[3] Fritz Sternberg, Der Dichter und die Ratio – Erinnerungen an Bertolt Brecht herausgegebenen und kommentiert von Helga Grebing, Berlin 2014
[4] Hans Mayer, Ein Deutscher auf Widerruf, Frankfurt am Main 1982, S. 136
[5] Fritz Sternberg, Der Dichter und die Ratio, S.12
[6] A.a.O., S.25
[7] A.a.O., S.27
[8] A.a.O., S.28f
[9] Hans Mayer, Bert Brecht für Anfänger und Fortgeschrittene, in: Brecht für Anfänger und Fortgeschrittene – Ein Lesebuch ausgewählt von Siegfried Unseld, Frankfurt am Main 1993, S. 9-36
Der gleiche Text findet sich auch in Hans Mayer, Brecht, S. 447-480
[10] A.a.o., S. 480