„Wenn dieses Land je so etwas wie ein Herz gehabt haben sollte, lags da wo der Rhein fließt“

50 Jahre Literaturnobelpreis für Heinrich Böll

Es war die Zeit als Böll nach seinem im Januar 1972 erschienenen Spiegelartikel über Ulrike Meinhof von der Springer-Presse aber auch von anderen Publikationen und Medien als „geistiger Wegbereiter der Gewalt“ und RAF-Sympathisant wochenlang angegriffen und verleumdet wurde. Da erreichte ihn ein von Hans Mayer am 20. April geschriebener Brief, in dem dieser u.a. schreibt: »…vielleicht wird es Sie freuen, daß ich zu Beginn des Jahres vom Nobel Komitee in Stockholm um den Vorschlag eines Kandidaten gebeten wurde. Ich habe Ihren Namen genannt. Später erfuhr ich, daß sich zwei andere deutsche Empfänger solcher Briefe genauso entschieden.«[1]

Heinrich Böll selbst erhielt die Nachricht zur Verleihung des Nobelpreises am 19. Oktober per Telegramm in Athen. Ein paar Tage vorher hatte er einen zweiten Brief von seinem Freund Max Tau aus Oslo erhalten. Der schreibt: »Vor einigen Tagen hatte ich Besuch von unserem gemeinsamen Freund Hans Mayer und er war ganz sicher, dass du diesmal den Literatur Nobelpreis bekommst. (…) Er war seiner Sache ganz sicher, aber ich hoffe, weil ich weiß, daß bei der Preisverleihung immer noch was passieren kann. Aber mein Instinkt sagt mir, dass Du diesmal dran bist.«[2]

Bölls Nobelpreisurkunde (Foto: HB)

Kennengelernt hatten sich Hans Mayer und Heinrich Böll schon kurz vor einer Tagung in Wuppertal im Herbst des Jahres 1957. Diese aber bedeutete für Mayer, wie seine Frühjahrsreise nach Griechenland „eine Erweckung“.[3] „Der Ort des Geschehens war kaum poetisch zu nennen, trotz der Else Lasker-Schüler. Es war das Wuppertal, Stadtteil Elberfeld.[4] Das Thema der Tagung der Wuppertaler Vereinigung „Bund – Gesellschaft zur geistigen Erneuerung“ vom 11. bis zum 13. Oktober: »Literaturkritik – kritisch betrachtet«. Vertreten waren Schriftsteller, Germanisten, Kritiker, Vertreter des Buchhandels und öffentlicher Büchereien. Die Mischung der hochkompetenten Teilnehmer*innen und die Leitung der Tagung durch den souveränen Hans Jürgen Leep, Kulturreferent von Wuppertal, machten die Tagung zu einem außerordentlichen Erfolg. Ingeborg Bachmann Paul Celan, Hans Magnus Enzensberger, Walter Jens sowie Heinrich Böll, Peter Huchel und auch namhafte ausländische Gäste waren vertreten.

Alle Debatten, Kontroversen und Gespräche zielten auf Austausch über Zustand und Veränderung der Gesellschaft nach 1945; vermittelt in diesem Fall über die Fähigkeit der deutschen Sprache, das in geeignete Worte zu fassen. Es ging dabei auch um die „Einheit der deutschen Literatur“. In Anknüpfung an diese Tagung zielt darauf auch Celans Gedicht »Weißgeräusche«, das Hans Mayer gewidmet ist.[5] Bei dem Treffen kam es zur erneuten Liebesbeziehung zwischen Celan und Bachmann. Es entstanden Celans Gedichte »Rheinufer« und »Köln, Am Hof«.[6]

Um die deutsche Sprache ging es Böll auch in seiner Nobelpreisrede am 10. Dezember 1972. Er beendet sie mit den Worten: „Ich danke der Schwedischen Akademie und dem Land Schweden für diese Ehre, die wohl nicht nur mir gilt, auch der Sprache, in der ich mich ausdrücke und dem Land dessen Bürger ich bin.“[7] Zuvor schon hatte er es deutlich ausgesprochen: „Wenn dieses Land je so etwas wie ein Herz gehabt haben sollte, lag´s da, wo der Rhein fließt. Es war ein weiter Weg in die Bundesrepublik Deutschland.”

Es war auch die Heimatstadt Köln, die eine zusätzliche Nähe zwischen Mayer und Böll vermittelte. In seiner Rede über die »Einheit der deutschen Literatur« hat Hans Mayer auch den Dank an Heinrich Böll in diesem Sinn ausgesprochen: „… Heinrich Böll ist ein großartiges Beispiel für die These, daß das scheinbar bloß Lokale und Regionale in Wirklichkeit am besten verstanden wird in ganz fremden Welten: vorausgesetzt, daß es genau ist und wahr.“[8] Nicht verwunderlich also, dass Hans Mayer seine Dankrede für die Verleihung des Kölner Literaturpreises Heinrich Böll gewidmet hat.[9]

Ehrenbürger Böll                     (Foto: HB)

50 Jahre nach der Verleihung des Nobelpreises an ihren Ehrenbürger Böll hat die Stadt Köln in zwei Veranstaltungen an dieses Ereignis erinnert. Zum einen bei einer Tagung des Archivs, dass seinen Nachlass verwaltet und nach der Bergung und Rettung desselben wieder zugänglich macht. Zum anderen durch eine Tagung im Rathaus. Dort wies Oberbürgermeisterin Henriette Reker noch einmal auf die strittige Debatte hin, die es damals bei der Ernennung Heinrich Bölls zum Ehrenbürger gegeben hatte. Einleitend zu ihrer Berichterstattung hält Annika Müller im »Kölner Stadtanzeiger« vom 26.11.2022 fest: „Heinrich Bölls Verhältnis zur Stadt Köln war „ambivalent“, wie es Oberbürgermeisterin Henriette Reker am Donnerstag vorsichtig ausdrückt. Und auch das Verhältnis Kölns zu Böll war nicht immer positiv.“ Es scheint allerdings, als hätte man sich inzwischen mit dem berühmten Sohn der Stadt ausgesöhnt. Sowohl mit dem kritischen und widerständigen Schriftsteller der Nachkriegszeit als auch dem politischen und engagierten Bürger Kölns.

 

[1] zitiert nach Heinrich Böll, Werke Kölner Ausgabe Band 18 Seite 579
[2] zitiert nach Heinrich Böll, Werke Kölner Ausgabe Band 18 Seite 580
[3] Hans Mayer, Ein Deutscher auf Widerruf, Erinnerungen Band II, Frankfurt am Main 1984, S. 223
[4] Ebenda
[5] Siehe: http://www.hans-mayer-gesellschaft.de/weissgeraeusche-in-wuppertal/
[6] Siehe: Herzzeit Ingeborg Bachmann- Paul Celan Der Briefwechsel, Frankfurt am Main 2008, S. 57ff
[7] zitiert nach Heinrich Böll, Werke Kölner Ausgabe Band 18 Seite 178
[8] Hans Mayer, Wendezeiten Über Deutsche und Deutschland, Frankfurt am Main1993, S. 159
[9] Hans Mayer, Aufklärung heute Reden und Vorträge 1978-1984, Frankfurt am Main 1985, S. 125ff