„Vermittler zwischen den Sektoren und auch den Sektierern“ [1]

Claudia Wörmann-Adam

Erich Fried und Hans Mayer eine Freundschaft –
Zum 100. Geburtstag Erich Frieds am 6. Mai 2021

Hans Mayer erinnert sich nicht genau, wann er Erich Fried das erste Mal traf, nur dass dies schon kurz nach 1945 gewesen sein muss, als sich in rascher Folge Antifaschist*innen und Schriftsteller*innen auf unterschiedlichen Kongressen begegneten. Er ist sich aber ganz sicher, dass er vor Erich Fried gewarnt wurde: man sprach negativ über ihn, bezichtigte ihn von kommunistischer Seite der Zusammenarbeit mit der englischen BBC; das galt als Verrat!

In der Tat arbeitete Erich Fried eine Zeitlang als Rundfunksprecher beim BBC in London, seiner 2. Heimat, in die er als kritischer junger Wiener Jude vor den Nazifaschisten fliehen musste. Mayer erinnert sich, dass er auch schon früh auf dessen literarische Arbeit aufmerksam gemacht wurde, die sei interessant. Das war kurz nachdem Mayer seine Professur in Leipzig angetreten hatte.

Über Mayer ist häufig geschrieben worden, er sei in seinen Reaktionen harsch, aufbrausend und manchmal auch arrogant gewesen. Wenn man die Texte liest, die Mayer über Fried geschrieben hat, bekommt man einen ganz anderen Blick auf Hans Mayer: er schreibt sehr freundschaftlich, warmherzig, liebevoll fast zärtlich über Erich Fried, der ihm sehr viel bedeutet hat.

Erich Fried wurde am 5. Mai 1921 als einziges Kind von Hugo und Nellie Fried in Wien geboren. Die Familie war jüdisch; der Vater von Beruf Spediteur, die Mutter Grafikerin. Im Mai 1938 kurz nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland wurde Hugo Fried bei einem Verhör durch die Gestapo zu Tode getreten. Der Mörder wurde nie verurteilt, sondern lebte nach dem Krieg in Düsseldorf und bezog eine Pension als Oberzollrat.[2] Dieser Mord führte dazu, dass Erich Fried als 17-Jähriger über Belgien nach London emigrierte wo er bis zu seinem Tod bleiben sollte. Es gelang ihm noch seine Mutter nach London zu retten, alle übrigen Verwandten wurden durch die Nazi-Faschisten verfolgt und umgebracht.

Erich Fried hatte schon als Kind begonnen zu schreiben und wurde einer der bedeutendsten deutschsprachigen Lyriker des 20. Jahrhunderts. Er übersetzte kongenial Autor*innen englischer Sprache ins Deutsche darunter William Shakespeare, T. S. Eliot, Graham Green, Sylvia Plath und Dylan Thomas. Er mischte sich wie kaum ein anderer in politische Diskussionen ein, vertrat Positionen der damaligen außerparlamentarischen Opposition; demonstrierte und trat als Redner bei politischen Kundgebungen auf. Es heißt über ihn, dass er sich „in konservativen und rechten Kreisen einen Ruf als „Stören-Fried“ erwarb“.[3] Fried engagierte sich gegen den Vietnam-Krieg, für Frieden und Abrüstung, gegen Ausgrenzung und Rassismus, für Menschenrechte, gegen jede Form von Unrecht und er schrieb, neben vielen engagierten sehr politischen Gedichten, viele der schönsten modernen Liebesgedichte deutscher Sprache.

Erich Fried beim Antikriegstag 1979 in der Dortmunder Westfalenhalle     (Foto: HB)

Mayer sah in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts in Westberlin das von Erich Fried übersetzte Theaterstück »Unter dem Milchwald« von Dylan Thomas „dem genialischen Dichter aus Wales“. Er schreibt dazu: „Ich sah die Aufführung, dann las ich das Stück, dann hatte ich für mich zwei Autoren entdeckt: den Dylan Tomas, dem ich leider nie begegnen sollte, und den Erich Fried.“[4]

Er beschreibt, wie sich langsam eine Beziehung zwischen ihnen aufbaut, vor allem durch die regelmäßigen Treffen im Rahmen der „Gruppe 47“, der beide angehörten. Schon früh stellte sich bei Mayer ein Gefühl der Freundschaft für Erich Fried ein: „Seitdem bleibt bei mir der Eindruck vorherrschend, dass ich ihn immer schon kannte, und dass er immer schon mein Freund war.“[5]

Und weiter: „Es geht wohl noch auf jene mittleren fünfziger Jahre zurück, dass ich Erich Fried, dem Kind eines jüdischen Elternhauses zu Wien, von meinem jüdischen Elternhaus in Köln am Rhein erzählte. Von meiner Schulzeit, den albernen Schulaufsätzen, darunter einem mit dem besonders albernen Titel »Was ist uns Deutschen der Wald?«. Erich Fried lachte, als ich davon erzählte, dann verging ihm das Lachen. Man begreift, wenn man sein berühmt gewordenes Gedicht liest, das eben den Titel meines Primaneraufsatzes als Überschrift trägt: »Was ist uns Deutschen der Wald?«. Er hat mir das Gedicht gewidmet.“[6]

Hans Mayer beschreibt auch Dissonanzen, die es zwischen den beiden gab, die aber der Freundschaft nicht dauerhaft schaden konnten.

In seiner Rede anlässlich des 65. Geburtstages von Fried beginnt Mayer: „Eine Rede auf Erich Fried, sogar eine Geburtstagsrede? Noch dazu in seiner Anwesenheit? Da sollte man auf der Hut sein. Ich kenne ihn. Dann sitzt er da, und dichtet heimlich.“[7] Er beschreibt, wie er immer wieder beobachtet hat, dass Fried bei Vorträgen und Lesungen Gedichte schrieb, ihm die manchmal rüber schob, damit er sie begutachten sollte; gleichzeitig hörte Fried aber aufmerksam dem Gesagten zu und meldete sich voll konzentriert zu Wort. Für Mayer war es faszinierend, diesen Dichterprozess zu verfolgen: „Hier saß einer und schien überzuströmen vor Wörtern und Worten, Wortspielen und Wörtlichkeiten.“[8]

Er spricht von den „vier großen Begabungen“ Erich Frieds: die dichterische, die für den großen Zorn, die eines großen Clowns, und, wie er schreibt, „die vielleicht größte neben dem poetischen Ausdruckszwang: seine Begabung für Freundschaft“. Und weiter: „Ich habe selten einen Menschen gefunden, noch dazu in der Welt der Literaten, der so unzugänglich wäre für die beiden Todsünden Geiz und Neid. Erich Fried praktiziert das neidlose Lob, und seine Warnungen sind Freundeswort.“[9]

Die zweite und letzte Rede, die Hans Mayer zu Ehren von Erich Fried hielt, war die auf der Trauerfeier nach seinem Tod 1988: „Vom Dichter Erich Fried soll zuerst gesprochen werden, aus diesem Anlass und an dieser Stelle. Von ihm her ist nämlich alles gekommen, was wir erlebt haben mit ihm und durch ihn: vom unablässigen Strömen der Sprache, genauer noch: Strömen der zärtlich geliebten Wörter, denen Erich Fried ihr Geheimnis ablauschte, ihren Nebensinn, ihre Widersprüche.“ Er beendet seine Rede mit: „Erich Fried: Ehre seinem Andenken.“[10]
Am 22. November 1989, genau ein Jahr nach Erich Frieds Tod, wird die Internationale Erich Fried Gesellschaft für Literatur und Sprache durch den Gründungspräsidenten Hans Mayer ins Leben gerufen. (Siehe: http://www.literaturhaus.at/index.php?id=6538.)

Der Band „Hans Mayer über Erich Fried“ endet mit einem weiteren Gedicht, das Erich Fried Mayer widmete: „Exkurs: Paul Celan für Hans Mayer“[11]; darin heißt es in den letzten Zeilen:

Du
hast das festgehalten
in deinen Worten
stark und behutsam
als hättest du so
ihn
festhalten können

Man wird es dir
und man wird dich
ihn und dich
nicht vergessen

Diese Zeilen sollten Hans Mayer und Paul Celan ehren. Hans Mayer hat in wenigen Tagen seinen 20. Todestag, Paul Celan hatte letztes Jahr seinen 100. Geburts- und 50. Todestag; Erich Fried am 6. Mai dieses Jahres seinen 100. Geburtstag. Es lohnt sich, der drei zu erinnern: am besten, indem man sie liest.

Claudia Wörmann-Adam

[1] Hans Mayer, Über Erich Fried, Hamburg 1991, S. 11
[2] Gerhard Lampe, „Ich will mich erinnern an alles was man vergißt“ Erich Fried Biographie und Werk, Köln 1989, S.11
[3] Wikipedia zu Erich Fried, aufgerufen am 4.5.2021
[4] H.M., über E.F., S. 10
[5] Ebenda, S. 10
[6] Ebenda, S. 12
[7] Ebenda, S. 29
[8] Ebenda, S. 31
[9] Ebenda, S. 32 ff
[10] Ebenda, S. 39 ff
[11] Ebenda, S. 56